Verlockung
Elke Schanz
Bergan
treten Stiefel
den Weg.
Blick hinab:
Von Zweigen
aufgespießtes Grau.
Wir ziehen
die Kinder an uns,
Kapuzen fester
um die Köpfe.
Heraus aus dem Brodeln
steigen wir
über den Schnee
von gestern.
Sturmbö
Welche fanden sie
rechtzeitig und schnell genug
zum Untertauchen
Welche warfen sich ihr entgegen
geblähten Gewands
sich zu drehen
Welche hatten sie erblasen
erschrien, erstürmt
um vorwärtszutreiben
dahin?
Cappucchino am Gardasee
Der Teufel holte mich
flog mit mir über die Alpen
verzauberte die Burgen von Südtirol
zu Miniaturen in Rot
ließ die Surfer ins Wasser fallen
beim Cappucchino am Gardasee
besiegelte ich unseren Pakt
mit meinem Blut
Jetzt kann ich fliegen
über Stadtgrau und Lärm
lasse die Menschen ihren Tag
mit meinem Lachen beginnen
Foto 24.12.1927
Ovalberahmte Augen
großlockiges Lächeln
Grübchen über
fließendem Kleid
Entstaubt aus
nie getragener Wäsche
Sie hat sich zuletzt
nicht mehr erkannt
ich werd das Jahr dazuzählen
den vorigen anschließen
doch werd ich’s nicht vergleichen
denn es wird anders sein
schwerer vielleicht
hoffentlich besser
friedlich wünsch ich mir das Jahr
und Kraft zum Tätigsein
Liebe
laßt uns anstoßen
auf diesen Tag
und neugierig darauf sein
was er uns ein Jahr später
erzählt
Vor dem Herbst
sammeln sich Schwalben auf
Telefondrähten unweit der Stadt
während wir gehen
Schwalbennester im Kopf
sammeln deine Gedanken die
sollten mitgenommen werden
in den Süden
vor dem Herbst
sammeln sich Vögel
auf unseren Worten haben
was zu tun mit Gehen, endgültig oder
mit dem Winter
Nach dem Frost
werden Schwalben zurückkehren
in ihre Nester
erfroren
Kolibri
Zwergenkleiner Vogel
regenbogenschillernd
uns so fremd
doch allen verwandt
dieses rastlose Vibrieren:
Wie jeder den Nektar begehrt
den langen Schnabel reckt
gern so unschuldig wie du
Mein Kopf wollte gehen
Mein Kopf wollte gehen
und meine Füße haben ihn getragen
über den Mond
die ihn sahen, sagten
seht doch, er hat ein Gesicht
der Mond lächelt
mein Körper wartet
verletzt beraubt blutend
auf mich
November
Laß ich mich vom Herbstwind zausen
mein ich, ich müßt so bunt werden
wie die Blätter der Bäume
könnte mich schaukeln lassen
und zur Erde kreiseln
während ich - zum letzten Mal -
über den Weg fliege
Häng die Betten auf
sie modern vor sich hin
zerfallen zwischen uns
trag die Platten auf den Boden
das Grammophon scheppert
immer noch eine Polonaise
wird ein Stuhl weggerückt
häng die Betten
hinter die aufgestuhlte Reihe
unseres Lebens
tanz um den letzten Stuhl
mach die Fenster weit
sie quietschen im Takt
du bleibst übrig
RÄTSEL
Dieses ist noch ganz neu und
vollbeladen mit Wünschen
so scheint es
siebenmal heller
Gealtert
wird es kürzer gewesen sein
und dunkler
als das letzte
Ich habe dich gesehen
und mein Blick verfing sich in deinem
Ich habe dich gespürt
obwohl du mich nicht berührt hast
Ich habe gebrannt
und du erwidertest das Feuer
Wir fanden uns nicht
denn da waren die Menschen um uns
und so zahltest du
und gingst
Sehnsucht
Wandern möcht ich in den jungen Tag
und genießen die freudgefüllte Luft
immer weiter muß ich suchen
verstaubte Bäume glutschwere Felder
schwitzend und durstig die Kilometer nicht messen
am nächsten Berg und weiterklettern
lachend den windigen Grat verlassend
möcht ich dem Sturm hinterherlaufen
und erfrischend dem Regen entgegen
die Lagerfeuer an Flußwiesen riechend
und Tau auf gepflückten Äpfeln
möcht Dörfer sehn und Kirchturmspitzen von fern
erfahren neue Freunde und weiterwandern
quer durch dieses Land und immer wieder suchen
ungezählte Jahre
bis sich Gipfel wiederholen
und Feuer geruchlos werden -
dann möcht ich ankommen über letzte Wege
mich setzen und wissen Hier ist mein Haus
möcht bleiben und sehn all diese Tage
wissend neue wandern weiter
Seminar
ein Sonnenstrahl kitzelt mich
in unseren Morgen zurück
während der Dozent sein Kapitel beendet
steigt dein Lachen in mir auf
plustert sich, weitet meine Eingeweide
hopst durchs Herz in die Kehle
und flattert endlich aus meinem Mund
in die schläfrige Stille des Lernens
erschreckt duckt es sich unter das Pult
wo es der Dozent mit einem energischen Schritt
zertritt
Als der Sommer den Herbst erwartete
trafen wir uns wieder.
Deine Hand entdeckte mein Gesicht
und hielt es fest.
Träumend sah ich
deine Haare weiß werden
und faltig meine Haut.
Gemeinsam werden wir
unseren Winter erwarten
Weißer Storch
Weißer Storch:
viel Glück und viele Kinder
aufs Pflaster gemalt
Kind war schon geboren
Glück bereits herbeigeeilt -
Welch Gelächter und Geschrei
als sie kamen zu gratulieren -
Heut steigt einer
über Storch und Wünsche
Glück nicht, Mann nicht
nur noch dieser graue Vogel
viel Glück und viele Kinder
Verlockung
Lädt dich diese Treppe ein
mußt du den Marmor besteigen
verlockende Spiegelung
Reliefs
steigst leicht die Stufen
die unversehens stumpf werden
steiler
hast nicht bemerkt
wann die Reliefs zurückblieben
der Sand begann
und doch mußt du weitersteigen
den Block ahnend der
wandgleich alles beschließt
Umzug
dem alten Haus aufs Dach steigen
eine Stadt sehen, die nicht mehr so ist
wie vor hundert Jahren
noch ist die Stiege dieselbe und
die Himmelsrichtung
Post an Elke Schanz:
Schanz.Elke@dd-v.de
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